Ich sitze im Auto auf dem Rückweg von einem sehr schönen, aber auch teilweise forderndem Gig mit meinen Luft-Kolleginnen von Sol’Air: zu viert an vier Tüchern, synchron, in neun Meter Höhe, 12 Minuten! Und jetzt nach dem Auftritt ist auch endlich Zeit, sich zu erzählen, über unsere Produktionen und Gigs, über unsere Sommersaison.
Mein Highlight war definitiv unser Sommerabschluss in Forchheim: Vintage! Women! Variete! hat auf dem
Zirkart Festival gespielt – einem der schönsten Straßentheaterfestivals in Deutschland! Es vereint Straßentheater mit dem Schwerpunkt Zirkus, und rekrutiert KünstlerInnen und Gruppen, die in beiden Sparten arbeiten. Die historische Innenstadt war komplett für zirzensische Straßenkunst reserviert, wo das Publikum ein weite Bandbreite artistischen Straßentheaters sehen konnte – von frechen, einradfahrenden Buskern bis zu lyrischen tanzakrobatischen Stücken war alles dabei. Also genau das Festival, wo wir nicht fehlen dürfen!
Wir haben unser neu überarbeitetes Stück zum ersten Mal einem großen Publikum präsentiert und waren überwältigt vom Applaus und vom zahlreichen begeisterten Feedback – auch von lieben KollegInnen, die sich die Zeit genommen hatten, ein Stunde zuzuschauen. Ich bin immer wieder so glücklich über unsere Entscheidung, das komplette Stück mit
Julia Christ choreographisch zu überarbeiten – es hat sich wirklich gelohnt.
Aber das eigentliche Highlight war unsere andere Premiere: Wie angekündigt war unsere Bühne zum ersten Mal umrahmt von unserer Wanderausstellung über „Großartige Frauen in Zirkus, Variete und Artistik“.
Claire Terrien hat uns zirkus-barocke Rahmen für unsere Ausstellungstafeln gebaut, die unsere BesucherInnen schon von weitem neugierig machen. Die Tafeln selbst hat
Tobias Stiefel gestaltet, der ja unser gesamtes Design macht, und es immer wieder schafft, Zirkus-Nostalgie zeitgenössisch visuell weiter zu entwickeln.
Meine größte Herausforderung war, die jahrelange Recherche über Frauen im Zirkus zu bündeln und eingängige Texte zu produzieren. Eine schöne Abwechslung zu meiner sonstigen Textarbeit, die entweder wissenschaftliche Antrags-Prosa ist, oder selbstdarstellerisches Web-Marketing. 😉 Dazu musste ich natürlich illustrierende Bilder auszusuchen, die sowohl Einblick in unsere Themen geben, als auch ästhetisch spannend sind. Es war sehr viel intensive Arbeit, die mit aber sehr viel Spaß gemacht hat, und ich habe – obwohl ich so lange schon im Thema stecke – wieder etliche Frauen entdeckt und neue Aspekte erfahren.
Bisher besteht die Ausstellung aus fünf Tafeln zu „unseren“ Artistinnen, die im Stück vorkommen: Direktorin Paula Busch, Kraftfrau Sandwina, Dompteurin Tilly Bebe, den Jongleurinnen Trixie Firschke und Lottie Brunn, und den Luftartistinnen Lillian Leitzel und Luise Leers. Dazu gibt es je eine Tafel zu Frauen in der jeweiligen Disziplin – meist mit einem historischen Abriss und eine Verortung von Gender in der doch sehr jungen Geschichte des Zirkus. Abgerundet wird die aktuelle Version von einer Einleitung über Frauen in der Zirkusgeschichte und einem Abschluss über Frauen im zeitgenössischen Zirkus.
Dieser kurze Überblick zeigt sehr deutlich, dass sich die Rolle und Stellung von Frauen in der Artistik und im Zirkus sehr verändert hat über die ca. 150 Jahre Zirkusgeschichte. Jedoch auch nicht immer unbedingt zum besseren.
Hier ein kurzer Auszug:
In der zeitgenössischen Artistik performen Frauen in allen Sparten, dennoch gibt es geschlechtlich bevorzugte Disziplinen. Obwohl sich das langsam ein bischen verändert, sind immer noch ca. 90% aller Jongleure Männer und ca. 90% aller Luftartistinnen Frauen. Innerhalb der Disziplinen gibt es weiblichere und männlichere Vorlieben: so ist die Vertikaltuch-Artistik und Contact-Jonglage eindeutig weiblich, wogegen Strapaten und Keulenjonglage immer noch sehr männlich dominiert sind. Interessant zu beobachten ist jedoch z.B. der Trend der Jonglage zum Tänzerischen, was Frauen den Zugang eröffnet. Und ein Aufleben der Boylesque-Performance (männliche Burlesque) bringt immer mehr Männer an den Luftring und das Vertikaltuch.
Parallel zur zeitgenössischen Artistik, die von immer virtuoserer Technik und immer größeren Leistungen handelt und vor allem für den Variete- und Gala-Markt entwickelt wird, prägt sich der zeitgenössische Zirkus weiter aus und fängt nun auch an, in Deutschland zu sprießen. Zeitgenössischer Zirkus steht für Zirkus als Kunstform, als künstlerische Kreation. Vor allem in kleineren Compagnien und Solos sind etliche Frauen Autorinnen, Künstlerinnen und Ideengeberinnen für künstlerische Stücke. Fehlende öffentliche Förderung und die risikoarme Zögerlichkeit von VeranstalterInnen führen bisher in Deutschland dazu, dass diese Stücke vor allem am Rand zur alternativen Kultur stattfinden und nur selten mediale Anerkennung finden.
Das nächste Mal ist die Ausstellung auf der
Kulturbörse Freiburg vom 26. bis 29. Januar 2015 zu sehen.