Einsamkeit.
Alltagsrituale.
Schlafen.
Schmerz.
Vergessen.
Erinnerungen.
Kontrolle.
Ausbruch.
Erinnern.
Veränderung…
Frau Vladusch lebt allein in ihrer Wohnküche, mit streng organisiertem Tagesablauf und vielen kleinen Alltagsritualen – alles einer starren Ordnung unterworfen. Ihre pedantischen Wiederholungen, Beherrschtheit und Selbstkontrolle resultieren aus Angst vor Erinnerungen und ihrer Vergangenheit: Grenzüberschreitung, Gewalterfahrung, Schmerz.
Und so entwickelt sie mit raffiniertem Geschick immer neue Methoden des Vergessens und der Verdrängung – und zieht die Leere ihres Alltags einer Auseinandersetzung mit sich selbst – und möglicher Veränderung – vor:
Fein verpackt bewahrt sie ihre Erinnerungen auf, hoch oben versteckt, in der Dachkammer ihres Bewußtseins. Fühlt sich sicher damit und hat verdrängt. Doch Frau Vladusch kann nicht umhin, die Selbstkontrolle zum Selbstzweck zu erheben, sie zu feiern, zu spüren – die Kontrolle zu verlieren. Erst nur in ihren Träumen, dann immer öfter als Visionen schleichen sich die Erinnerungen zurück und geben den Weg frei für neue Hoffnungen.
Und langsam fängt Frau Vladusch an sich zu verändern.
Eine alte Frau, die in sich und ihrem Körper gefangen und gebrechlich ist, erlebt Momente, in denen sie über sich hinauswächst. Auch erinnert sie sich manchmal an frühere scheinbar grenzenlose Möglichkeiten.
Was sind das für Momente? Warum ist sie gefangen? Wovor hat sie Angst?
Denn zunächst einmal scheint es, dass sie alles daran setzt, nicht ihre Kontrolle zu verlieren. Ihre Grenzen hat sie mühsam um sich errichtet, niemand darf und kann diese Mauern einreißen. Doch unvermeidlich scheint der Zusammenbruch. Und was dann?
Künstlerische Grundlage für unsere Geschichten ist der Druck-Zyklus "Projekte für einen einsamen Menschen" (Проекты для одинокого человека, Serie, 1975) von Viktor Pivovarov von der Künstlergruppe "Moskauer Romantischer Konzeptionalismus". Darin zeichnet er auf nüchtern strenge Weise ein exemplarisches Bild vom Leben eines einsamen Menschen, komplett mit Biographie, Tagesablauf, Träumen, Wohnung usw. Dieses bis zur Absurdität gesteigerte Bild der Hoffnungslosigkeit nehmen wir als Ausgangspunkt für unsere szenische Arbeit und versuchen noch weiter zu gehen als Pivovarov: wir suchen nach dem Grund für diese Einsamkeit.
Dabei geht es uns nicht darum, in dieser Hoffnungslosigkeit stecken zu bleiben - in der die sowjetische Gesellschaft der 70er Jahre sich zu befinden schien - , sondern vielmehr unseren Blick in die Länder der Transformation in einer globalisierten Welt zu richten, insbesondere die ostdeutsche Nach-Wende- und die tschechische nach-revolutionäre Gesellschaft.
Wie gestaltet sich der Lebensalltag einer alten Frau, die selbst im real existierenden Sozialismus bereits alt war? Was wird aus den alltäglichen Alltagsabläufen durch ihre streng geregelte unendliche Wiederholung? Was sind ihre Lebenserinnerungen? What makes her tick? Was sind ihre Ticks?
Darin erspüren wir alltägliche Absurdität, clownesque Details, die die Grenze zwischen Tragik und Komik zerfließen lassen und zum befreienden Lachen führen.
So wird unser Stück zu einer Momentaufnahme einer vergessenen, alten Frau, die einsam und allein ist - eine, deren Identität ein Geheimnis ist, das sie mit sich ins Grab nehmen wird. Wir möchten dieses eine Bild, diesen einen Moment festhalten und die überraschende Tiefe ihrer Identität beleuchten. Wir leisten Erinnerungsarbeit um dieses verschwindende Geheimnis.