In bezug auf Frauen in der Artistik untersuche ich zwei große Themenkomplexe: artistische Performance sowie artistischen Alltag - also ihr Leben auf der Bühne / in der Manege sowie hinter den Kulissen.
An der Performance interessiert mich die Vielfalt der Artistik von Frauen, von weiblicher Show-Kunst bis zur androgynen Comedy, von erotischer Körperarbeit bis zu abstrakten Choreographien. Hierzu suche ich Beispiele und stelle sie zu Themen zusammen, stelle Fragen an ihre Performances und interpretiere ihre Bedeutung. Die für mich wichtigsten Oberbegriffe sind Körper, Erotik und Sex-Arbeit, Kampf der Geschlechter, sowie explizit feministische artistische Performance.
Körper
Unter der Überschrift Körper betrachte ich die Körperlichkeit artistische Darbietungen von Frauen, sowie das Spiel mit ihren Körpern. Im Folgenden ein paar Gedanken, zu denen ich recherchiere.
- Anfang des 20sten Jahrhunderts wurden Luftartistinnen und Kraftartistinnen ihre Muskeln als Drag vorgeworfen, so als hätten sie ihre Muskeln angezogen wie ein Kleidungsstück, und nicht antrainiert. Heute ist zu beobachten, dass in der Luft fast ausschließlich Frauen performen. Trotz der notwendigen starken Muskeln, betonen sie oft stark ihre Weiblichkeit - und Luftartistik wird eher als Tanz wahrgenommen, und nicht so sehr als Kraftartistik.
- Ein klassisches Zirkus-Thema ist das Phänomen der Freaks: bärtige Frauen, Zwerginnen, Kontorsionistinnen, ethnische Minderheiten usw. Wie prägte dieser Exotismus die Körper von Artistinnen? Wie sieht das heute aus? Gibt es heute noch die Kategorie Freak in der Artistik, und wie hat sie sich verändert?
- Alter und Altern ist meist ein eher traumatisches Thema für Artistinnen. Ähnlich wie Tänzerinnen und Sportlerinnen haben sie frühe Karriere-Höhepunkte und gehen früh in den Ruhestand. Dazu kommt der gesellschaftliche Zwang und die Kunst, jünger zu wirken - mit Schminke, Kostüm und Habitus. Kindsfrauen und Mädchen sind gern-gebuchtes Programm, wogegen Altern aktuell zum Thema im zeitgenössischen französischen Zirkus wird.
- Artistik hinterlässt Spuren auf den Körpern der Artistinnen - so wie bei vielen anderen Berufen. Hier will ich mich auf eine visuelle Suche machen und diese Spuren aufspüren: Hornhäute auf den Fingern von Luftartistinnen, auf den Fußsohlen von Seiltänzerinnen, blaue Flecken, Über-Dehnungen, Muskelverhärtungen. Aber auch Verletzungen, typische Unfälle und Risiken. Artistik als Kunst des Risikos - nicht nur im spektakulären Sinn, sondern auch in der alltäglichen Bedeutung. Und: werden diese Spuren stolz präsentiert oder versteckt? Wie und warum?
- Zum Thema Körper gehört auch das Artistinnen-Kostüm - Verkleidung, Kleidung, Haut zeigen, Haut verbergen.
Erotik / Sex-Arbeit
Wie bereits beschrieben, wird Artistik oft nahe an erotischer Show-Kunst verortet. In manchen Gesellschaften und Ländern mehr, in manchen weniger. Das künstlerische Märchenland für Artistik ist Frankreich, wo Artistk und Zirkus gleichwertig neben der "Großkunst" Theater, Oper und Ballett stehen. Natürlich werden Geschlechterrollen hier genauso zementiert oder aufgebrochen wir in der "Kleinkunst", aber das Genre Show-Kunst steht viel ungeschminkter für explizite Erotik und Sex-Performance als es das Theater tut. In den USA als Gegenpol zu Frankreich werden Luftartistinnen wie Pole-Dancerinnen meist als erotische Tanzgirls gebucht.
Wie verlaufen die Grenzen zwischen diesen Genres? Was machen Artistinnen, um die Grenzen zu wahren? Wie bewusst ist ihnen die Nähe zur Sex-Arbeit? Gibt es Auseinandersetzungen und Diskussionen darüber?
Hierzu suche ich Beispiele, und will vor allem Umfragen starten unter Artistinnen. Auch nach ihren Strategien, sich davon (emotional und äußerlich) abzugrenzen.
Kampf der Geschlechter
Zu Anfang der Zirkus-Geschichte gab es so etwas wie einen Kampf der Geschlechter nicht - es gab lediglich fest zugewiesene Rollen in der Artistik. Doch dann begannen Frauen damit, Kraftartistinnen zu werden und Luftartistik zu machen. Zunächst tatsächlich nahezu gleichberechtigt mit Männern - wenn auch die gesellschafltiche Wahrnehmung und die Presse das sehr wertend kommentierten. Doch spätestens seit dem Siegeszug von Hollywood wurde der Kampf der Geschlechter in den Zirkus zurückübertragen. Unter diesen Aspekten will ich einzelne artistische Disziplinen und ihre geschlechterspezifischen Konnotationen analysieren. Ein paar Thesen, an denen ich arbeite:
- In der Luftartistik waren anfangs die Geschlechter tatsächlich gleichberechtigt. Alle trainierten dieselben Disziplinen und Rollen. Catcherinnen waren ebenso üblich wie Flieger. Das veränderte sich stark mit dem Einzug des Films, als Zirkus eine romatische Projektionsfläche für großes Mainstream-Kino wurde. Spätestens in den 1930er Jahren begann der Kampf der Geschlechter, Männer mussten sich beweisen, dass sie besser und geeigneter für die Luftartistik waren, ebenso wie sie zeigen mussten, dass sie nicht homosexuell sind. Frauen hörten fast gänzlich auf, andere zu catchen, und es wurden große Gruppenroutinen von hübschen Tänzerinnen in der Luft Mode. Heute hat sich das völlig umgedreht: Luftartistinnen sind zu 90 Prozent Frauen. Das bedeutet jedoch nicht, dass damit geschlechterspezifische Grenzen aufgebrochen werden...
- In der Kraftartistik und Sensationsartistik gab es ähnliche Phänomene. Ganz besonders schön ist hier das Beispiel von Sandwina, der stärksten Frau der Welt, die sich einen leidenschaftlichen Medien-Krieg mit einem Kollegen lieferte um den Titel des stärksten Menschen der Welt.
- Die Dressur (Dressurreiterinnen waren Ende des 19ten Jahrhunderts die damaligen Superstars) wiederum ist ein Beispiel für die Erfolgsgeschichte von Frauen in einem Frauen-Metier. Auch finanziell waren Reiterinnen zum Teil so erfolgreich, dass es mindestens ein Beispiel für einen Mann gibt, der sich als Kunstreiterin ausgab und erst nach Ende seiner Karriere sein Gender offenbarte.
- Clownerie war lange und fast bis heute eine starke Männerdomäne. Bis heute gibt es kaum berühmte Clowninnen. Die erste klassische Auguste gab es erst in den 1970er Jahren in Frankreich: Annie Fratellini. Doch was die Clownerie bemerkenswert macht, ist dass sie für den feministischen Aufbruch der 1970er Jahre zum wichtigsten performativen Ausdrucksmittel wurde. Clownerie als feministische darstellende Kunstform, in der kollektiven und linken Szene.
- Jonglage ist ähnlich wie die Clownerie zu "nerdig" um eine Frauen-Domäne zu werden. Können und Komik können offensichtlich nicht besonders leicht erotisiert werden (im Gegensatz zur freakisch-körperlichen Luftartistik z.B.). Bis heute sind Jongleure zu 80 Prozent Männer, bzw. Jongleurinnen machen dann in der Regel eher körperbetonte und tänzerische Kontakt-Jonglage und Swinging. Interessanterweise jedoch sind die heutigen Superstars unter den Jongleuren meist innovative contemporay Tänzer - also durch weiche Körperlichkeit erfolgreiche Männer.
Feministische Performance in der Artistik
Ich sammle Beispiele feministischer Performance in der Artistik.
Vom australischen Women's Circus, über französische Produktionen der 70er Jahre (z.B. Annie Fratellini), bis zu zeitgenössischen Auseinandersetzungen mit sexualisierter Gewalt (z.B. Tentabulles).